Oliviero Toscani

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Oliviero Toscani (2007)

Oliviero Toscani (* 28. Februar 1942 in Mailand) ist ein italienischer Fotograf.[1] Bekannt wurde er durch seine kontroverse Gestaltung der Benetton-Werbekampagnen ab 1983. Nach einer Werbekampagne im Jahr 2000, die Porträtaufnahmen von zum Tode verurteilten Gefängnisinsassen in den USA zeigte, verließ Toscani Benetton. Von Ende 2017 bis Anfang 2020 arbeitete Toscani wieder für Benetton.

Toscanis Vater, Fedele Toscani, war Fotoreporter des Corriere della Sera und schenkte seinem Sohn bereits im Alter von sechs Jahren seine erste Kamera. Von 1961 bis 1965 studierte Toscani Fotografie und Grafik an der Kunstgewerbeschule Zürich. Anschließend arbeitete Toscani für Modezeitschriften wie Elle und Vogue. Bei Aufenthalten in New York lernte er Andy Warhol kennen, der sein Vorbild wurde.[2]

Toscani ist Ehrenmitglied des Bund Freischaffender Foto-Designer (BFF).

Seine Fotos mit Magersüchtigen wurden vereinzelt kritisiert und ihm wurde ein relativierender Umgang mit Kritik daran vorgeworfen.[3][4][5][6][7]

Karriere als Werbefotograf

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Oliviero Toscani (2008)

Die Jesus Jeans

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Erste Aufmerksamkeit erlangte Toscanis Gestaltung einer Werbekampagne für die italienische Marke Jesus Jeans von 1973. Das Plakat zeigt den nur mit einer engen Hot Pants bekleideten Hintern einer Frau, sozusagen als Kehrseite eines Brustbildes. Der doppeldeutige Slogan lautete 'Chi mi ama mi segua' (dt. Wer mich liebt, der folgt mir), ein Jesus Christus zugeschriebener Ausspruch.[2][8]

Die Jahre bei Benetton

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die italienische Modemarke Benetton plante Anfang der 1980er Jahre ihre internationale Expansion. Als Gestalter der dazugehörigen Werbekampagne wurde 1983 Toscani engagiert. In den Folgejahren wurden beide für ihre kontroversen wie polarisierenden Kampagnen international bekannt.[2] Erste Plakate zeigten unter dem Slogan 'All the colours of the world' in bunte Benetton-Pullover gekleidete Kinder aller Hautfarben. Ab 1985 änderte Benetton seinen Markennamen in United Colors of Benetton.

Rassismus war wiederholt Thema von Toscanis Bildern, ebenso wie ihm deswegen mehrfach Rassismus vorgeworfen wurde. Besonders kontrovers rezipiert wurde diesbezüglich etwa Toscanis Brustfotografie einer schwarzen Frau, die ein weißes Baby stillt (Kampagne vom Herbst/Winter 1989).[2]

Anfang der 1990er Jahre verwendete Toscani für die Benetton Werbekampagnen mehrfach Pressefotografien. So nutzte er für die Frühjahr/Sommer 1992 Kampagne das Foto David Kirby’s Final Moments von Therese Frare, das den sterbenden Aids-Aktivisten David Kirby und seine trauernde Familie zeigt, wobei es an eine Pièta-Darstellung erinnert.[2][9] Andere Plakate aus der Serie zeigen ein überladenens Flüchtlingsschiff vor der albanischen Küste oder die Leiche eines erschossenen Mafioso und seine trauernde Familie.

In späteren Kampagnen setzten sich diese sozialkritischen und kontroversen Bilder fort. Etwa in den Fotografien nackter Körperteile mit dem Stempelaufdruck 'H.I.V. positive' oder der Aufnahme des blutigen Hemds mit Einschussloch eines gefallenen Soldaten im Bosnienkrieg.[2] Nach einer Werbekampagne im Jahr 2000, die Porträtaufnahmen von zum Tode verurteilten Gefängnisinsassen in den USA zeigte, verließ Toscani Benetton. Benetton-Mitbegründer Luciano Benetton hatte sich zuvor öffentlich von ihm distanziert.

In Deutschland sorgten diese als Schockwerbung bezeichneten Kampagnen zu einem Streit zwischen Zivil- und Verfassungsrichtern. Während der Bundesgerichtshof sie wegen Verstoßes gegen die guten Sitten für unzulässig erachtete (Urteile vom 6. Juli 1995, Az. I ZR 180/94 und I ZR 110/93), entschied das Bundesverfassungsgericht, dass solche sozial- und gesellschaftskritischen Motive von der Meinungsfreiheit gedeckt seien, worauf sich auch die Wirtschaftswerbung berufen darf (Urteile vom 12. Dezember 2000, Az. I BvR 1762/95 und 1 BvR 1787/95).[10]

Die Jahre nach Benetton

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Ausstellung Osteoporosis – A Photographic Vision by Oliviero Toscani wurde vom Deutschen Grünen Kreuz e. V. konzipiert und mit Oliviero Toscani umgesetzt. In Zusammenarbeit mit der International Osteoporosis Foundation (IOF) wurde sie in verschiedenen Ländern gezeigt, um auf Probleme in der Versorgung Betroffener und die persönliche Prävention aufmerksam zu machen. Vom 19. Mai bis 12. Juni 2005 wurden Toscanis Fotografische Einblicke erstmals in Deutschland gezeigt.[11] Schirmherrin war die damalige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt.

Anlässlich der Mailänder Modewoche 2007 präsentierte Toscani freizügige Bilder des magersüchtigen Models Isabelle Caro, um mit der Kampagne „No-Anorexia“ Aufmerksamkeit auf die Problematik des Schlankheitswahnes zu lenken und um Werbung für das italienische Modelabel „No-l-ita“ zu machen.[12] Für die Bilder bekam Caro 700 Euro.[13][14]

Beim deutsch-französischen Fernsehsender Arte war Toscani 2011 Gastgeber der Casting-Show 'Photo for Life'.[15]

Rückkehr zu Benetton

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ende 2017 kehrte der mittlerweile 82-jährige Luciano Benetton an die Spitze des Aufsichtsrats der Benetton Group zurück und er wollte auch wieder mit Toscani zusammenarbeiten.[16] Fabrica, das Zentrum für Kommunikationsforschung von Benetton, soll gemeinsam umgewandelt werden zum Fabrica Circus 7/7x24.[17]

Im Februar 2020 trennte sich Benetton von Toscani. Hintergrund war, dass sich Toscani abfällig über den Brückeneinsturz in Genua 2018 geäußert hatte. Das für die Brücke zuständige Unternehmen wurde über eine Holding der Familie Benetton kontrolliert.[18]

  • Graz, Atelier Jungwirth, 17. Oktober 2019 – 25. Jänner 2020
  • Matthias Jestaedt: „Die Werbung ist ein lächelndes Aas“. Das Benetton-Urteil des Bundesverfassungsgerichts. In: Jura, Bd. 24 (2002), Heft 8, S. 552–558.
  • Lorella Pagnucco Salvemini: Toscani – Die Werbecampagnen für Benetton 1984-2000. Knesebeck Verlag, 2002, ISBN 978-3-89660-121-6
  • Fabio Petroni: Pferde im Porträt (mit Texten von Oliviero Toscani), White Star, 2010, ISBN 978-3-86726-160-9
Commons: Oliviero Toscani – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Oliviero Toscani im Munzinger-Archiv (Artikelanfang frei abrufbar)
  2. a b c d e f Lorella Pagnucco Salvemini: Toscani - Die Werbecampagnen für Benetton 1984-2000. Knesebeck Verlag, München 2002, ISBN 3-89660-121-0.
  3. … untergewichtig: Oliviero Toscani liegt mit No-Anorexia ziemlich daneben. Abgerufen am 19. Juni 2013.
  4. Anorexia Nervosa auf christophschaden.de. Abgerufen am 19. Juni 2013.
  5. Benetton-Werbung : Oliviero Toscanis Geschmacklosigkeiten – Nachrichten Lifestyle – DIE WELT. Abgerufen am 19. Juni 2013.
  6. Einsicht-Aktuell: EIN GESPRÄCH ZWISCHEN DEM PHILOSOPHEN NEIL POSTMANN UND DEM BENETTON-PHOTOGRAPHEN OLIVIERO TOSCANI. Abgerufen am 19. Juni 2013.
  7. business-on.de: Oliviero Toscani im Interview. Abgerufen am 19. Juni 2013.
  8. Benetton-Schockwerbung:Fotograf Oliviero Toscani - Bild 7. In: Spiegel Online. 29. Juni 2013, abgerufen am 21. Januar 2019.
  9. Alexandra Genova: The Story Behind the Colorization of a Controversial Benetton AIDS Ad. In: Time.com. 14. Dezember 2016, abgerufen am 14. Januar 2019 (englisch).
  10. Dirk Lehr: Werbung mit Gefühl. Financial Times Deutschland vom 12. März 2002, S. 34
  11. Starke Bilder, dünne Knochen. In: Focus Online. 19. Mai 2005, abgerufen am 21. Januar 2019.
  12. Schock-Kampagne gegen Magersucht. In: Spiegel Online. 24. September 2007, abgerufen am 21. Januar 2019.
  13. Stefanie Rosenkrantz: Isabelle Caro: Eine Frau zwischen Leben und Tod – Lifestyle. STERN.DE, 24. Oktober 2007, archiviert vom Original am 16. April 2016; abgerufen am 19. Juni 2013.
  14. Margot Reis: Wie eine Magersüchtige ihre Krankheit vermarktete. In: WELT. Axel Springer SE, 7. Dezember 2007, abgerufen am 13. Februar 2019.
  15. Vanessa Steinmetz: Ein Foto wie eine Revolution. In: Spiegel Online. 21. November 2011, abgerufen am 21. Januar 2019.
  16. „Unerträglicher Schmerz“: 82-jähriger Luciano Benetton will seine Firma retten. In: diepresse.com. 31. Januar 2018, abgerufen am 7. Februar 2020.
  17. Thesy Kness-Bastaroli: Die alte Benetton-Garde übernimmt wieder das Ruder. In: derstandard.at. 2. Februar 2018, abgerufen am 7. Februar 2020.
  18. Benetton feuerte Starfotografen Oliviero Toscani. In: derstandard.at. 7. Februar 2020, abgerufen am 7. Februar 2020.